Du hast freien Willen! 🤯 Oder doch nicht?
Achtung: Dieser Post enthält Spuren von Eierwurf-Chaos, Eisbecher-Entscheidungen und radikaler Selbstwirksamkeit.
Ich bin vor einiger Zeit über diesen TikTok-Trend gestolpert, der mir eben wieder über den Weg gelaufen ist: "when you remember you have free will". Da zeigen sich Leute dabei, wie sie plötzlich einfach Dinge tun, auf die sie Lust haben. Völlig spontan. Völlig frei. Barfuß durch den Regen tanzen, zum Eier gegen die Wand werfen oder einfach losfahren, ohne zu wissen wohin. Und dabei immer dieser ✨erleuchtende✨ Moment von: Warte mal... ich KANN das ja einfach machen. Niemand hält mich auf. Ich bin erwachsen. Ich darf das.
Und genau da dachte ich: Wow, was für ein Mindfuck das für Menschen sein muss, die eine Essstörung haben oder in Recovery sind – so wie ich.
Denn das Ding ist: Essstörungen suggerieren einem genau das Gegenteil. Dass du nicht frei bist. Dass du bestimmten Regeln folgen musst, um die “Kontrolle” zu behalten. Dass es Konsequenzen gibt, wenn du "einfach machst, worauf du Lust hast". Dass du dich nicht auf deinen Körper verlassen kannst. Dass dir etwas schlimmes passiert, wenn du dich nicht weiter kontrollierst.
Dabei ist es genau andersrum.
Wenn du z.B. nachmittags richtig Lust auf ein Eis bekommst und sofort diese doofe Stimme in deinem Kopf aufploppt mit "Nee, das geht nicht!", dann ist das nicht dein freier Wille, der da spricht. Das ist die Essstörung, die dich klein halten will.
Denn freier Wille bremst dich nicht aus. Freier Wille ist der, der sagt: "Ich hab Lust drauf. Ich spüre, dass mir das jetzt guttun würde. Und ich vertraue meinem Körper." – eben ganz frei!
Aber was, wenn du gar nicht mehr weißt, was du eigentlich willst?
In einem Podcast habe ich neulich etwas gehört, das mich total abgeholt hat: das Konzept von „Liking“ vs. „Wanting“. Hier ist auch ein weiterführender Artikel für die Psychologie-Nerds unter euch:
Heißt aber schnell übersetzt so viel wie: Etwas mögen vs. etwas wollen. Und ja, das klingt erstmal gleich – ist es aber nicht.
Wenn du z. B. ein Eis wirklich magst (Liking), aber es dir gleichzeitig verbietest oder Angst davor hast, es zu essen (Wanting blockiert), dann verschwimmt der freie Wille plötzlich ziemlich stark.
Besonders mit einer Essstörung oder in der Recovery ist das tricky:
Du willst vielleicht etwas, das sich gleichzeitig total verboten anfühlt. Oder du hast so lange gegen deine eigenen Bedürfnisse gearbeitet, dass du gar nicht mehr sicher bist, ob das „Wollen“ überhaupt aus dir selbst kommt – oder doch eher von alten Regeln und Verboten.
Und genau deshalb ist es so wichtig, dass du dir den freien Willen Schritt für Schritt wieder zurückholst – durch kleine Impulse, durch Neugier, durch das Ausprobieren.
✨ How-To: Freien Willen zurückholen ✨
1. Mach Dinge spontan
Nicht jede Entscheidung muss 10x abgewogen werden. Geh einfach los und kauf dir das Eis. Setz dich in ein Café, ohne dass es geplant war. Probier das neue Gericht, das dich anlacht. Spontanität ist ein Muskel. Je öfter du ihn benutzt, desto mehr erinnert sich dein Körper daran, dass nichts Schlimmes passiert. Und wenn es dann nicht perfekt ist? Who cares? Mach’s morgen nochmal und probier was anderes.
2. Realisiere wie stark du eigentlich bist
Angst vor dem Kontrollverlust bedeutet nicht, dass du schwach bist. Sie bedeutet, dass du so lange gelernt hast, dich selbst klein zu halten, dass Freiheit sich unnatürlich anfühlt. Aber genau da liegt deine Stärke: Du spürst, dass du etwas anderes willst. Du hast immerhin schon das Bewusstsein dafür gefunden und hast diesen Artikel über das Thema bis hierhin gelesen. Und das ist der Anfang von echtem Willen.
3. Sei neugierig statt kritisch
Frag dich nicht gleich: "War das jetzt okay? Hab ich was falsch gemacht?" Frag dich lieber: "Wie hat sich das angefühlt? Wie war das für MICH?" Freier Wille braucht Raum zum Atmen, Erkunden und Wachsen. Da hat Bewertung keinen Platz mehr.
4. Sammle Beweise für deine Selbstwirksamkeit
Mach Fotos von Momenten, in denen du deinen eigenen Impulsen gefolgt bist. Schreib in dein Journal, was passiert ist, wenn du dir selbst einfach mal vertraut hast. So entsteht eine Sammlung an Beweisen dafür, dass dein freier Wille nicht gegen dich arbeitet, sondern in deinem Team spielt.
5. Sag der Essstörung to F*CK OFF!
Du bist kein Kind mehr. Du wurdest die längste Zeit von allen bevormundet. Und du brauchst echt nicht noch eine innere Polizei, die dir vorschreibt, wie du zu leben hast. Feiere deinen freien Willen wie ein rebellischer Teenager es tun würde, der zum ersten Mal auf der Dorfparty über die Stränge schlägt. Ohne Muttizettel. Ohne schlechtes Gewissen. Einfach, weil’s geil ist.
Denn du kannst. IMMER.
Denn das ist kein TikTok-Trend. Das ist dein Leben. ❤️🩹