ADHS & Essstörung: Wie Diagnosen unsere Identität prägen
Über Schluss machen und Selbstfindung in der Recovery – schwerer, aber nötiger Real Talk.
Essstörungen sind ein schwieriges Thema – in jeder Hinsicht! Einerseits geht's in der Recovery darum, sich ein neues, gesundes Leben aufzubauen, andererseits wird die Essstörung nicht selten selbst zur Identität. In sozialen Medien gibt es riesige Recovery-Communities, in denen Betroffene Halt und Unterstützung finden. Das ist unglaublich wertvoll und das will ich auch nicht bestreiten, weil ich ja selbst davon aktiv profitiere. Aber es kann auch dazu führen, dass sich alles nur noch um die Vergangenheit mit der Essstörung dreht – und das merke ich gerade selbst ziemlich krass.
Wer bin ich eigentlich, wenn ich nicht mehr #RecoveryWarrior bin? Und wie kann ich eine neue Identität ganz ohne Essstörung aufbauen? Ein Vergleich dazu ist mir bei meinem letzten Spaziergang aufgefallen: die ADHS-Community, in der die Diagnose oft als Superpower gefeiert wird – mit tatsächlich ganz ähnlichen Vor- und Nachteilen.
ADHS als Superkraft – oder doch nur Schublade?
Ich hab nämlich die Podcast-Folge von "Betreutes Fühlen" gehört, wo darüber gesprochen wird, dass gefühlt plötzlich alle ADHS haben. Die Symptome werden oft auf TikTok und Instagram so extrem vereinfacht dargestellt, dass sich viele Menschen wiederfinden – meist komplett ohne offizielle Diagnose. Doch die Online-Community gibt Halt und das Gefühl: Du bist nicht allein! Aber wenn ADHS plötzlich als so super ist und regelrecht als "Superpower" gefeiert wird, kann das auch Druck erzeugen. Was, wenn du dich gar nicht so "super" fühlst? Und was, wenn die Diagnose zur Schublade wird, in die man sich selbst steckt?
Mein Problem mit der Eating Disorder Recovery Community
Findest du auch, dass das relativ ähnlich in der Essstörung-Community funktioniert? Recovery ist ein langer, herausfordernder Weg, und der Austausch mit Gleichgesinnten kann unglaublich unterstützend sein. In der Klinik habe ich besonders die Gruppentherapie als so unendlich wertvoll empfunden. Online vermitteln Hashtags wie #EDRecovery oder #EDWarrior: Wir sitzen alle im gleichen Boot, wir kämpfen zusammen, hier wirst du verstanden. Aber genau das kann (leider) auch zur Falle werden. Wenn sich alles nur noch um die Krankheit dreht, wie sollst du dir dann eine eine Zukunft komplett ohne sie aufbauen?
Wenn Sprache und Algorithmus zur Identität wird
Letzten Sommer habe ich das Buch "Cultish" von Amanda Montell gelesen, wo sie beschreibt, wie Sprache Gruppen zusammenschweißt und eine starke Identität formt. Auch in der ADHS- und ED-Community gibt es Begriffe wie "Neurodivergent Squad" oder "Recovery Warrior", die nicht nur Zugehörigkeit schaffen, sondern auch Identität definieren und Abgrenzung zu anderen Gruppen schafft. Das ist einerseits extrem empowernd, andererseits aber auch etwas wie... eine Sekte?! Denn sobald ich mich irgendwann von dieser Sprache und Identität löse, hab ich auch das Gefühl, dass ich meine "Gruppe" zurücklasse.
Gerade in der aktiven Recovery kann das zur echten Hürde werden: Wer bist du, wenn du nicht mehr die bist, die du jahrelang warst? Die Angst vor Identitätsverlust ist so real. Und Social Media? Hilft nicht gerade (wie so oft!). Der Algorithmus hält dich fest wie dein Ex, der einfach nicht checkt, dass du nichts mehr von ihm willst. Dein Feed ist voll mit Content, der dich an dein altes Ich erinnert – als würde dein früheres Selbst dir ständig zuzwinkern: "Na, komm schon, nur ein bisschen Nostalgie?" Da wirklich Schluss zu machen, fühlt sich fast unmöglich an...
Fazit: Zugehörigkeit ist gut, Selbstfindung ist besser
Es ist total verständlich, dass man sich mit einer Diagnose identifiziert – sie gibt Antworten, erklärt Verhaltensweisen und schafft eine Community. Aber irgendwann sollte dann doch der nächste Schritt kommen: Wer bin ich ohne das alles? Sprache ist mächtig, und wie wir über uns selbst sprechen, beeinflusst und gestaltet die Welt um uns herum.
Vielleicht lohnt es sich, wenn du dich weniger fragst, zu welcher Diagnose du dich zugehörig fühlst – sondern wie du dein Leben gestalten möchtest, völlig losgelöst davon.